Antonio
Rosetti (1750-1792)
Schon zu Lebzeiten wurde Antonio (Anton) Rosetti mit anderen
Komponisten gleichen Namens verwechselt, so auch in Ernst Ludwig
Gerbers „Historisch-biographischem Lexicon der Tonkünstler“
von 1792. Die seit der Neuauflage von Gerbers Lexikon (1813/14)
in fast allen Nachschlagewerken zu findenden Angaben zur frühen
Biographie entstammen dem Artikel „Noch etwas von Rosetti“,
der 1792 in der von Heinrich Philipp Bossler herausgegebenen
„Musikalischen Korrespondenz“ erschienen war. Obwohl diese Angaben
größtenteils archivarisch bislang nicht untermauert werden konnten,
sind sie doch als zuverlässig einzustufen, da Bossler in engem
persönlichen Kontakt zu Rosetti stand. Dieser Quelle zufolge
wurde Rosetti im Jahr 1750 in Leitmeritz (Litoměříce, Nordböhmen)
geboren und kam „in seinem siebenten Jahre nach Prag in das
Seminarium“ wahrscheinlich der Jesuiten, wo ihm eine umfassende
(auch musikalische) Ausbildung zuteil geworden sein dürfte.
„In seinem 19ten Jahre“ erhielt er als „Weltgeistlicher die
Tonsur“, ehe er sich entschloss, dem geistlichen Stand zu entsagen.
Für die immer wieder aufgestellte Behauptung, Rosetti sei als
Anton Rös(s)ler geboren worden, gibt es ebenfalls keinen Beleg.
In dem eben zitierten Artikel wird sogar betont, dass er „nie
Rößler, sondern von Geburt an Rosetti“ hieß.
Neueren Quellenfunden zufolge diente
er Anfang der 1770er Jahre als „Compositore della Musica bey
dem Russisch Orlowschen Regiment“ bzw. „als Musicus des Grafen
Orlow“, bei dem es sich wahrscheinlich um Graf Aleksej Orlov
(seit 1770 Fürst Česmenskij) handelt. Vermutlich im September
1773 wurde Rosetti in die Dienste des Grafen (und seit März
1774 Fürsten) Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein (Ries/Bayern)
aufgenommen. Im November 1773 taucht er erstmals in den Wallersteiner
Akten auf, und zwar als Angehöriger der Dienerschaft; im Juli
1774 erscheint er dann in den Hofhaltungsrechnungen als Kontrabassist.
Schon bald entstanden die ersten Kompositionen für die Hofmusik
wie auch für auswärtige Auftraggeber. Im Frühjahr 1775 ist ein
dreiwöchiger Aufenthalt am Ansbacher Hof belegt. Ein Requiem,
das er nach dem Tod von Kraft Ernsts erster Gemahlin, Fürstin
Maria Theresia († 9. März 1776), für die Trauerfeierlichkeiten
am 26. März 1776 komponierte, erfuhr in der Folge eine erhebliche
Verbreitung. Am 28. Januar 1777 heiratete Rosetti die Wallersteiner
Gastwirtstochter Rosina Neher († 1. April 1813 in Ludwigslust),
die drei Töchter zur Welt brachte. Bereits Ende der 1770er Jahre
hatte er sich als Komponist auch über die Grenzen Süddeutschlands
hinaus einen Namen gemacht. Seit 1776/77 vertrieb die Verlagshandlung
Breitkopf in Leipzig seine Kompositionen in Manuskriptkopie.
Eine erste Druckausgabe seiner Werke, drei Sinfonien, erschien
1779 bei Le Menu et Boyer in Paris. Seit 1781 waren seine Orchesterwerke
fester Bestandteil des Pariser „Concert spirituel“, in dessen
Auftrag er auch einige Sinfonien schrieb.
Ende Oktober 1781 ermöglichte ihm
Fürst Kraft Ernst eine mehrmonatige Reise in die französische
Metropole, wo er um den 1. Dezember eintraf. Dort ging er bei
den einflussreichsten Persönlichkeiten des Pariser Musiklebens,
unter ihnen die Fürsten Rohan-Guémené und Bourbon-Conti, Charles
Ernest de Bagge, Joseph Boulogne de Saint-Georges und Joseph
Legros, ein und aus, studierte das Konzert- und Operngeschehen
und knüpfte oder erneuerte Kontakte zu Musikverlagen. Im Mai
1782 kehrte Rosetti nach Wallerstein zurück. Viele der seit
Beginn der 1780er Jahre entstandenen Werke erschienen bei renommierten
Musikverlagen (André, Artaria, Bossler, Hummel, Sieber etc.)
im Druck. Im Frühjahr 1783 hielt sich Rosetti wieder für mehrere
Wochen am markgräflichen Hof in Ansbach auf, im Winter 1783/84
führte ihn eine längere Reise zusammen mit dem Wallersteiner
Fagottisten Christoph Hoppius in die Rhein-Main-Gegend (Mainz,
Frankfurt, Darmstadt, Speyer). Nach dem Weggang von Josef Reicha
an den Bonner Hof des Kölner Kurfürsten Maximilian Franz im
April 1785 übertrug ihm Fürst Kraft Ernst die musikalische Leitung
des Wallersteiner Orchesters. Seine Hoffnungen, außerdem auch
den Posten des Chorregenten an der Wallersteiner Pfarrkirche
übertragen zu bekommen, blieben unerfüllt. Im Februar 1786 ist
eine Reise nach München belegt, 1788 und 1789 mehrere Aufenthalte
in Augsburg. Ab 1786 standen seine Sinfonien regelmäßig auf
den Programmen der großen Londoner Konzertreihen („Salomon’s
Concert“, „Professional Concert“ etc.).
Trotz seines internationalen Ansehens
litt Rosetti stets unter Geldsorgen. Im Juli 1789 verließ er
Wallerstein, um den ungleich besser dotierten Kapellmeisterposten
am Hof des Herzogs Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin
in Ludwigslust als Nachfolger von Carl August Westenholz anzutreten.
Frau und Kinder ließ Rosetti wohl erst Ende 1790 oder 1791 nachkommen.
Anders als in Wallerstein verfügte die Ludwigsluster Kapelle
auch über ein leistungsfähiges Vokalensemble, für das Rosetti
in seinen letzten Lebensjahren noch eine Reihe groß besetzter
Werke für Chor und Orchester schuf. Nachdem bereits die beiden
Oratorien Der Sterbende Jesus (1785) und Jesus in Gethsemane
(1790) am Hof des Erzbischofs von Trier, Kurfürst Klemens Wenzeslaus,
großen Anklang gefunden hatten, bestellte dieser 1791 bei Rosetti
einige neue Sinfonien für sein Hoforchester. Am 14. Dezember
1791 wurde bei der Prager Gedenkfeier für den verstorbenen W.
A. Mozart das frühe Wallersteiner Requiem von 1776 von einem
großen Aufgebot an Musikern aufgeführt, dem auch die mit Mozart
befreundete Sopranistin Josepha Duschek angehörte. Im Februar
1792 rief König Friedrich Wilhelm II. von Preußen Rosetti nach
Berlin, wo auf seine Anordnung hin am 2. März 1792 im Schloss
eine Aufführung des Oratoriums Jesus in Gethsemane und der Halleluja-Kantate
(1791) stattfand, zu der sämtliche Prediger Berlins geladen
waren. Neben der stark besetzten Berliner Hofkapelle (76 Instrumentalisten
und 32 Choristen) wirkten erste Kräfte der italienischen Oper
als Solisten mit. Der Verleger Bossler, der Rosetti in Berlin
begegnete, traf diesen schwerkrank an. Die Ursache war ein „bösartiger
Husten“ (Gerber 1813/14), unter dem Rosetti schon seit längerem
litt. Nur wenige Monate später, am 30. Juni 1792, starb er in
Ludwigslust „an der Entkräftung“ (Pfarrmatrikel).
Rosetti hat vor allem Instrumentalmusik,
aber auch geistliche Werke und Lieder hinterlassen. Charles
Burney zählte ihn zu den bedeutendsten Komponisten des ausgehenden
18. Jahrhunderts und nannte ihn sogar in einem Atemzug mit Haydn
und Mozart. Auch Christian Friedrich Daniel Schubart sah in
ihm „einen der beliebtesten Tonsetzer“ seiner Zeit und stellte
insbesondere den Wohlklang seiner Musik heraus, der er „Grazie
und Schönheit“ von „unendlich feiner Natur“ bescheinigte (Ideen
zu einer Ästhetik der Tonkunst. Wien 1806, S. 167 f.). Die kraftvoll-frische
Melodik, die viele seiner Werke auszeichnet, verweist unverkennbar
auf seine Wurzeln in der böhmischen Volksmusik. Mit der äußerst
gewandten Behandlung des Waldhorns hat Rosetti viel zur Entwicklung
einer melodisch anspruchsvollen Komponierweise für dieses Instrument
beigetragen. Kennzeichnend für die Kompositionen vor allem der
Reifezeit sind eine reiche klangliche und harmonische Sprache
voller Expressivität, die teilweise schon in die Romantik voraus
weist, und eine überaus phantasievolle Instrumentierung. Nur
wenige Komponisten wussten damals einen derart farbigen Bläsersatz
zu schreiben wie Rosetti, was auch die Zeitgenossen bemerkten:
„und besonders fallen seine Sätze für Blase-Instrumente öfters
himmlisch schön aus, die er überhaupt beym Orchester meisterhaft
zu benutzen weiß“ (Gerber 1792). Eine wichtige Einflussgröße
für sein instrumentales Schaffen stellt sicherlich Haydn dar.
Von ihm dürfte Rosetti den ökonomischen Umgang mit thematischem
Material und die Lust am Experimentieren mit der Form gelernt
haben. An Haydns Vorbild schärfte und verfeinerte er aber auch
seinen Sinn für musikalischen Humor. Ludwig Finscher, der in
ihm „einen der bedeutendsten Symphoniker der Epoche überhaupt“
sieht, charakterisiert die Sinfonien als „für ihre Zeit nicht
nur moderne, sondern ausgesprochen originelle Stücke, mit […]
Menuetten, die wie bei Haydn zum ‚Charakterstück‘ tendieren,
einer äußerst flexiblen Verbindung von kontrapunktischem und
homophon-konzertantem Satz und vor allem einem Hang zur thematischen
Ökonomie bis zur Monothematik, dem eine ausgeprägte Neigung
zu thematischer Arbeit korreliert“ (Art. „Symphonie“, in: 2MGG,
Sachteil, Bd. 9. Kassel 1998, Sp. 41 f.).
Günther Grünsteudel
(Quelle: Die Musik in Geschichte und Gegenwart.
2. Ausg. Personenteil, Bd. 14. Kassel 2005, Sp. 417-424) |